Jugendtheater der Burghofbühne am BKDin

ÜBER DIE BRÜCKE: DER SCHWERE WEG ZU SICH SELBST

Jugendtheater der Burghofbühne thematisiert Transgender, Diversität und Homosexualität:  Theater und Workshops für Schüler*innen im Berufskolleg Dinslaken

Raus aus der Enge der Kleinstadt, endlich die Brücke überqueren und hinüber in die große Stadt – davon träumen Dom und Fred, 14 Jahre alt, auf der Suche nach Sinn und nach sexueller Identität. Musik von Bronski Beat füllt den Raum mit Rhythmen, die Getriebenheit und Sehnsucht eines „Smalltown Boy” vermitteln. „Einfach nur ich selbst sein”, das wollen diese Jugendlichen – fast unmöglich in einer Schulklasse, einer Clique, einer Gesellschaft, in der die Geschlechterbilder starr sind und dazwischen, daneben nichts, vor allem kein Raum, sich zu finden. Noch dazu wenn man selbst noch gar nicht so richtig weiß, was man will, wer man im Inneren eigentlich ist. „Ich selbst – warum muss das Mädchen oder Junge sein? Warum nicht einfach ein Kaktus … oder eine Möwe? Es ist doch ganz egal, was ich bin… Hauptsache ich bin ich”.

Bildreiche, blitzschnell zwischen Leichtigkeit und Schwere wechselnde Dialoge und Gesten bringen Antonia Dreeßen und Tom Gerngroß in dem Theaterstück „Das Gesetz der Schwerkraft” von Oliver Sylvestre auf die sinnträchtig als geneigte Plattform angelegte Bühne, auf der sich die Jugendlichen unentwegt mit der Schwerkraft, dann wieder gegen die Schwerkraft bewegen. Ganz oben am gemeinsamen Zufluchtsort „unter den großen Buchstaben”, kann man über die Klippe hinweg die Lichter der ersehnten Großstadt sehen, doch der Weg hinauf ist beschwerlich und immer wieder rollen die Körper den Abhang hinunter, landen hart in der Realität.

Da geht es um Freundschaft, Liebe, Enttäuschung, und Eifersucht, darum, sich selbst schön zu finden und immer wieder um die Frage „Wer will ich sein, wer darf ich sein?” Die Anderen, allen voran Mitschüler Jimmy, sind das größte Problem: Blicke, Worte, Beleidigungen, Ausgrenzungen, die genau da verletzen, wo wir als Jugendliche auf der Suche nach uns selbst am verwundbarsten sind. Sogar die schwer verliebte Amelie wendet sich schließlich von Dom ab, weil sie „die ständigen Seitenblicke und Kommentare” der Gleichaltrigen nicht mehr ertragen kann. Dom, im Körper eines Mädchens geboren, will nicht nur als Junge oder Mädchen gesehen werden. Fred kämpft tapfer an gegen sein Bedürfnis sich „weiblich” zu kleiden, schminkt sich nur in der Heimlichkeit seines Zimmers, versucht sich in Gesellschaft falscher Freunde in betont „männlichen” Ritualen und wird doch von allen als „nicht normal” verhöhnt. Dom, dem wahren Freund, gesteht er, dass er manchmal an Selbstmord denkt: „Wenn ich die Klippe runterspringe, vielleicht bin ich dann wieder normal!”

Schwerer, tragischer kann es nicht werden und so beginnen die beiden Außenseiter schließlich sich aufzurichten, sich zu lösen von den Erwartungen und Klischees der Anderen. Und siehe da: Der zunächst irritierte Vater nimmt den geschminkten Fred in den Arm und die Mitschüler*innen sagen …. nichts! Vielleicht liegt es daran, dass Fred sich selbst nun wunderschön findet, einfach glücklich ist mit dem, was er ist und was er ausstrahlt… als Mensch, der sich nicht festlegen muss auf ein einziges Geschlecht – wie eine leuchtende, unsterbliche Qualle.  Ein Bild, das das Stück am Ende eindringlich aufgreift, indem die Protagonist*innen zu den drängenden Bronski Beat-Klängen in funkelnden Kostümen als genderfluide Quallen die Bühne einnehmen bevor sie schließlich den lang ersehnten Weg über die Brücke in die Freiheit der Großstadt wagen.

Der Prozess der Selbstfindung, der sich hier auf der Bühne stark gerafft darstellt, dauert in der Realität oftmals Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte. Warum fällt es uns als „aufgeklärte”, sich offen gebende Gesellschaft immer noch schwer, Diversität vorbehaltlos anzunehmen? Wissen wir genug über die verschiedenen möglichen Ausrichtungen und Bedürfnisse der viel mehr als nur zwei Geschlechter? Wie können wir mehr darüber lernen und als angehende Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen Kinder und Jugendliche befähigen, tolerant und würdevoll mit allen umzugehen?

In den dem Theaterstück vorgeschalteten Klassen-Workshops und dem Publikumsgespräch nach der Aufführung ging es Lea Maria Krell, Theaterpädagogin der Burghofbühne, neben der so wichtigen sachlichen Aufklärung vor allem um diese brennenden Fragen.

„Gut, dass das Thema mal behandelt wird”, sagt eine Schülerin, „manche Jugendliche haben in ihrem Umfeld gar keine Chance, sich damit auseinanderzusetzen”. „Auch dass die schlimmste aller Konsequenzen von Ausgrenzung, der Selbstmord, hier thematisiert wird, ist nötig”, meint eine andere angehende Erzieherin.

Ob es schwierig sei, sich in die vielschichten Rollen des Dom und des Fred hineinzuarbeiten, werden die Schauspielerin Antonia Dreeßen und Schauspieler Tom Gerngroß gefragt. Nein, schwer sei das nicht gewesen, Gespräche in dem queeren Jugendzentrum „Together” haben bei der Vorbereitung geholfen. „Together” in Dinslaken sei übrigens eine gute Anlaufstelle für Jugendliche, die die LGBT-Szene genauer kennenlernen und sich orientieren möchten, fügt Lea Maria Krell hinzu. 

Kinder und Jugendliche in ihrer Einzigartigkeit annehmen und verstehen, sie ausprobieren lassen, informieren und auf dem Weg der Identitätssuche unterstützen – so stellen sich die angehenden Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen ihr zukünftiges Wirken vor. Nicht nur einfühlsames Handeln ist dabei wichtig, sondern auch ein Bewusstsein für Sprache. Wenn zum Beispiel eine non-binäre Person – wie Dom im Theaterstück – sich weder als „er” noch „sie” empfindet, dann darf sich das auch sprachlich darin ausdrücken, dass statt der starren Personalpronomen stets der Name genutzt wird. Und zwar ohne herabwürdigende Kommentare.

Man fragt sich, wie es den Protagonisten Dom und Fred in der Großstadt, nach der sie sich so lang gesehnt haben, ergeht. Ist sie wirklich der Ort der Freiheit und der Selbstbestimmung? Wir vermuten, auch dort wird es noch Vorbehalte und Begrenzungen geben… Wie wir aber „unsere Großstadt”, unsere eigene diverse und tolerante Gesellschaft gestalten wollen, das liegt in unseren Händen. Hoffnungsfrohe abschließende Worte von Lea Maria Krull, verbunden mit dem Appell an die Schüler*innen, die Themen Transgender, Diversität und Homosexualität weiter zum Gegenstand von Gesprächen und Begegnungen zu machen.

Die Initiatoren der Kooperation zwischen dem Berufskolleg und der Burghofbühne Katja-Ann Gappa und Stefan Braemer-Jostes kündigen eine Wiederholung der gelungenen Veranstaltung in zukünftigen Schuljahren an. Schüler*innen, die Spaß daran haben, selbst Theater zu spielen, haben zudem die Möglichkeit am Jugendtheater der Burghofbühne an Workshops und Projekten teilzunehmen. Ansprechpartnerin ist Lehrerin Katja-Ann Gappa (gappa@berufskolleg-dinslaken.de).  

Fen, 6/23